05.09.2011

Besser Pillen oder Alkohol fürs Herz?

Mal wieder hat es mich nach Südfrankreich verschlagen und was ist näherliegend als in der Abendsonne ein Stück Käse mit einem landesüblichen Gläschen eiskalten Rosé zu genie§en und dabei einen Experten zu interviewen, der sich in Sachen Wein und Gesundheit bestens auskennt. Prof. Dr. Nicolai Worm ist Ernährungswissenschaftler und Buchautor, unter anderem von dem preisgekrönten Bestseller „Täglich Wein“. Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Weinakademie in Mainz, vertrat er viele Jahre Deutschland in der Expertengruppe "Ernährung und Gesundheit" beim Internationalen Weinamt in Paris.

Franca Mangiameli: Dass Wein vor Herzinfarkt schützen soll, ist den meisten sicherlich schon mal zu Ohren gekommen. Oft hört man in diesem Zusammenhang den Begriff „French paradox“. Doch was genau hat dieser Begriff mit dem protektiven Effekt von Wein zu tun?

Prof. Dr. Nicolai Worm: Dieser Begriff bezieht sich auf das Phänomen, dass Franzosen trotz des höheren Konsums von tierischem Fett und Cholesterin eine besonders niedrige Herzinfarktrate haben und auch noch eine höhere Lebenserwartung als zum Beispiel Deutsche. Und das hat man dem gesundheitsfördernden Effekt von Wein zugesprochen. Inzwischen wei§ man zwar, dass gesättigte Fettsäuren, tierisches Fett und Nahrungscholesterin gar kein Herzinfarktrisiko darstellen, aber dass ein wenig Wein der Gesundheit nutzt, das ist heute besser belegt als jemals zuvor.

Franca Mangiameli: Wenn ein höherer Konsum von tierischen Fetten erwiesenerma§en gar nicht ungesund ist, was bleibt dann vom „French Paradox noch übrig?“

Prof. Dr. Worm: „Nichts. Ich habe schon vor 16 Jahren darauf hingewiesen, dass an dem Französischen Paradox nichts paradoxes dran ist. Paradox mutet für viele nur noch an, dass Alkohol nicht nur Gift ist, sondern bei moderater Menge das Gegenteil.

Franca Mangiameli: Das klingt zunächst unglaublich, dass „Gift“ gesund und lebensverlängernd wirken soll. Gibt es tatsächlich eindeutige Beweise dafür?

Prof. Dr. Worm: Was sich so irreal anhört, haben Wissenschaftler aus Kanada Anfang des Jahres endgültig belegt. Sie haben zusammenfassend 84 Beobachtungsstudien der letzten 60 Jahre, die den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht und ausgewertet. Das Ergebnis sorgte für gro§es Aufsehen in der Fachwelt, noch dazu da es in der renommierten Zeitschrift British Medical Journal erschienen ist. Ein tägliches Gläschen Wein schützt nicht nur das Herz, sondern senkt die Wahrscheinlichkeit einen Herz- oder Hirninfarkt zu erleiden um 25 % im Vergleich zu gesunden Menschen, die aber auf Alkohol gänzlich verzichten. Und das wichtige dabei: Dieser Vorteil wurde nicht durch ein erhöhtes Risiko in anderen Bereichen erkauft. Tatsächlich war auch das Risiko für die Gesamtsterblichkeit, also alle Todesursachen zusammengenommen, um 13 Prozent gesenkt im Vergleich zu Abstinenten.

Franca Mangiameli: Mit anderen Worten – wer gar keinen Alkohol trinkt ist einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgesetzt? Ist es ratsam aufgrund dieser Ergebnisse täglich eine moderate Menge Alkohol zu empfehlen?

Prof. Dr. Worm: Da Beobachtungsstudien wie diese nur Korrelationen aber keine Ursachen belegen können, wäre es ohne weitere Erkenntnisse zu besitzen verantwortungslos die Empfehlung „täglich Alkohol zu trinken“ auszusprechen. Es stellt sich also zwingend die Frage: Was macht der Alkohol in moderater Dosis, um diese günstigen Beobachtungen zu erklären? Zahlreiche Forscher haben weltweit seit vielen Jahren mit Studien nach plausiblen biologischen Mechanismen für den Schutzeffekt des Alkohols gesucht. All das haben nunmehr die Wissenschaftler aus Kanada in einer weiteren Analyse von 63 kontrollierten Stoffwechselstudien der letzten Jahrzehnte bewertend zusammengefasst. Das Ergebnis: Täglich 15 g Alkohol für Frauen (150 ml Wein oder 400 ml Bier) und 30 g für Männer (= 300 ml Wein oder 800 ml Bier) erhöhen signifikant das herzschützende HDL- Cholesterin. Darüber hinaus erhöht Alkohol andere herz-kreislaufschützende Blutmarker und verbessert auch noch die Insulinwirkung. Weiterhin senkt sein moderater Genuss signifikant das Fibrinogen, welches das Blut stärker gerinnen lässt und somit das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall deutlich erhöht.

Franca Mangiameli: Wie stark ist der schützende Effekt von Alkohol? Ist es denkbar durch moderaten Alkoholgenuss sogar Medikamente bei Personen mit zum Beispiel niedrigen herzschützenden HDL-Spiegeln einzusparen?

Prof. Dr. Worm: Im Fazit schreiben die Wissenschaftler der oben genannten Studie, dass der HDL- anhebende Effekt von Alkohol sogar höher ist, als die eines Medikaments (Fibrate). Mein Tipp: Wer dazu noch mehr Fett isst und sich bewegt, kann seinen HDL-Wert noch weiter in die Höhe treiben.

Franca Mangiameli: Für Personen mit erhöhten Triglyzeriden (Fraktion der Blutfette) gehört Alkohol schon seit eh und je auf die Tabuliste, weil es den Triglyzeridspiegel stark in die Höhe schnellen lässt. Gibt es hierzu auch neue Erkenntnisse?

Prof. Dr. Worm: Die Annahme, dass Triglyzeride, durch Alkoholgenuss ansteigen, konnte erst ab einem täglichen Genuss von 60 g (z.B. 600 ml Wein) nachgewiesen werden. Moderate Alkoholdosen dagegen haben keinen Einfluss auf diesen Blutparameter. Wenn man im Gegenzug Kohlenhydrate einspart kann man trotz Weingenusses die Triglyzeride sogar senken.

Franca Mangiameli: Besonders Rotwein wird immer als herzschützend propagiert. Was ist mit Bier und anderen alkoholischen Getränken, haben diese ebenfalls eine protektive Wirkung?

Prof. Dr. Worm: Der primäre Schutzeffekt kann nicht an der Art des alkoholischen Getränks fest gemacht werden, sondern geht vom Alkohol selbst aus. Sie müssen also nicht, wie es immer propagiert wurde, Rotwein trinken, um Ihr persönliches Herzinfarkt-Risiko zu senken. Weißwein, Sekt und Bier wirken ebenso protektiv. Wichtiger ist, dass es bei der moderaten Menge bleibt, sonst entstehen diverse Risiken.

Lieber Leser, inwieweit solche beeindruckenden Erkenntnisse als Bestandteil eines gesunden Lebensstils tatsächlich auch von Fachgesellschaften in den Ernährungsleitlinien erkannt und folglich berücksichtigt werden, bleibt abzuwarten. Meine Hoffnung ist jedoch verschwindet gering. Wie auch immer – für Sie habe ich folgenden Tipp: Genießen Sie Ihr Gläschen Wein ohne schlechtes Gewissen – aber immer schön daran denken – die Dosis macht das Gift! In diesem Sinne „à votre santé und vielen Dank an Prof. Nicolai Worm.

Literatur:
Ronksley, PE et al: Association of alcohol consumption with selected cardiovascular disease outcomes: a systematic review and meta-analysis, BMJ, 2011

Brien, SE et al: Effect of alcohol consumption on biological markers associated with risk of coronary heart disease: systematic review and meta-analysis of interventional studies, BMJ, 2011






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